Freitag, 7. April 2017

Gelesen: Wege, die das Leben geht

Mit dem Chaos in ihrem Leben und ihrer Beziehung zu einem dem Alkohol zugeneigten Verlierertypen muss Schluss sein! Das findet zunächst zwar nicht unbedingt die Isländerin Eyja selbst, aber dafür ihre Großmutter, ihre Mutter und deren Cousine Rúna. Die drei bestimmen, dass Eyja eine Auszeit braucht. Die energische Rúna nimmt sie für einen Sommer mit zu ihrer Ferienhausanlage in Schweden. Dort soll Eyja Abstand gewinnen, zu sich finden und ihrem Traum, ihren ersten eigenen Roman zu schreiben, näher kommen.
Eyja weiß mit ihrem neugewonnenen Freiraum zunächst nicht viel anzufangen. Die ersten Wochen in Schweden vergehen mit Sehnsuchtsgedanken und schlechtem Gewissen ihrem Partner gegenüber. Hinzu kommt, dass Rúna mit ihrer starrköpfigen Art in verlässlicher Regelmäßigkeit dafür sorgt, dass die beiden durch genervte Mieter, neugierige Journalisten und misstrauische Polizisten in ihrer geplanten Sommeridylle gestört werden. Schließlich stehen sie gar im Mittelpunkt eines Drogenskandals. Doch Eyja lernt, sich abzugrenzen, sich für ihre eigenen Träume einzusetzen und kehrt schließlich mit einem Manuskript nach Island zurück. Nicht zuletzt wird sie dabei unterstützt von den Stimmen dreier bereits verstorbener Urahninnen. Die eigensinnigen Frauen aus der Gegenwart ihrer Familie finden hier ihre mystischen Pendants in der Vergangenheit.

Die schriftstellerischen Ambitionen scheinen der Hauptfigur bereits in die Wiege gelegt zu sein, denn ihr Großvater wird als berühmter isländischer Nationaldichter beschrieben. Gar nicht so weit hergeholt: Die Autorin Audur Jónsdóttir, geboren 1973, ist selbst nicht nur eine von Islands bekanntesten jüngeren Schriftstellerinnen, sondern auch die Enkelin des isländischen Literaturnobelpreisträgers Halldór Laxness. Wie viele autobiographische Bezüge dieses Buch ansonsten noch enthält, darüber darf spekuliert werden. 
Auch Eyjas Mutter wird als eine Frau mit großem schriftstellerischen Talent beschrieben. Eine meiner Lieblingsstellen: 

Eyja hatte ihre Mutter umgebracht, das war das Verbrechen gewesen, das sie begangen hatte. Und sie würde es nicht rückgängig machen wollen, selbst wenn sie es könnte.
Bevor Eyja sie verdrängt hatte, hatte ihre Mutter so viel für die Zeitungen geschrieben, dass sie damit einen großen goldenen Pralinenkarton hatte füllen können, den Opa wohl mal von einem ausländischen Verleger oder Botschafter zu Weihnachten bekommen hatte.
Diese vergilbten Kolumnen waren wie eine echte italienische Pizza: knusprig und frisch. Jedes Wort war saftig, aromatisch und irgendwie genau deshalb an der richtigen Stelle, weil es an der falschen stand - so wie die Menschen in Mamas Zeichnungen durch ihre schiefen Proportionen genau richtig getroffen waren. "Schade, dass dir gar nicht bewusst ist, was du da machst', hatte Eyja ihrer Mutter einmal gesagt, woraufhin die ihr eine Ohrfeige gegeben und ihr befohlen hatte, den Mund zu halten." (S. 110)

"Wege, die das Leben geht" zeichnet die verschiedenen Wege in Eyjas Leben nach, die Sackgassen, Abkürzungen, Umwege und wenigen Überholspuren. Die zeitlichen Perspektiven wechseln dabei oft und teils sehr schnell hin und her. Mir gefiel dies, weil es immer wieder überraschende Einblicke bot, die halfen, Eyjas Charakter besser zu verstehen. Manchen mag dies aber im Lesefluss stören. Ein interessant gezeichnetes, tiefsinniges Frauenportrait. 

Vielen Dank an den btb-Verlag für das Rezensionsexemplar, das ich über das Bloggerportal erhalten habe.

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Gesa